Teilrevision des BehiG: Was Schweizer Unternehmen bei digitalen Inhalten beachten müssen

Die Schweiz steht vor einem wichtigen Schritt in Richtung mehr Gleichstellung für Menschen mit Behinderungen. Die Teilrevision des Behindertengleichstellungsgesetzes (BehiG) wurde vom Bundesrat mit einer umfassenden Botschaft vorgestellt und hat nun eine erste parlamentarische Hürde genommen. In diesem Beitrag erläutern wir, was auf Unternehmen im digitalen Bereich zukommt.
Schweizer Bundeshaus

Aktueller Stand: Kommission tritt auf BehiG-Revision ein

Am 28. März 2025 hat die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrats (WBK-N) ohne Gegenstimme beschlossen, auf die Teilrevision des BehiG einzutreten. Dies markiert den offiziellen Beginn des parlamentarischen Prozesses.

Worum geht es in der Teilrevision?

Die 2024 vom Bundesrat vorgestellte Teilrevision des BehiG zielt darauf ab, Benachteiligungen in zentralen Lebensbereichen abzubauen, und zwar mit den Schwerpunkten:

  1. Arbeit: Verbesserung des Schutzes vor Benachteiligung in privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen.
  2. Dienstleistungen: Verbesserter Zugang zu Dienstleistungen, insbesondere zu privaten Dienstleistungen.
  3. Gebärdensprachen: Anerkennung der schweizerischen Gebärdensprachen und Förderung der Gleichstellung von gehörlosen Menschen.

Digitale Barrierefreiheit im Fokus

Für Unternehmen und Organisationen mit digitalen Angeboten sind besonders die Änderungen im Bereich der Dienstleistungen relevant:

Pflicht zu angemessenen Vorkehrungen

Die Revision führt das Konzept der «angemessenen Vorkehrungen» ein. Dies bedeutet, dass Anbieter von Dienstleistungen verpflichtet werden, zumutbare Massnahmen zu ergreifen, um Benachteiligungen zu verhindern, zu verringern oder zu beseitigen. Im digitalen Kontext betrifft dies insbesondere:

  • Websites und Online-Portale
  • Mobile Anwendungen (Apps)
  • Digitale Dokumente
  • Online-Shops und -Dienstleistungen
  • Digitale Kommunikationskanäle

Standards für digitale Barrierefreiheit

Der Bundesrat soll die Kompetenz erhalten, im Einklang mit den internationalen und europäischen Rechtsvorschriften einen Mindeststandard für die Barrierefreiheit festzulegen. Für digitale Dienstleistungen des Bundes gelten bereits strenge Anforderungen. Neu sollen diese auch auf private Anbieter ausgeweitet werden. Die Vorschriften werden sich an harmonisierten nationalen oder internationalen Normen orientieren.

Laut der Botschaft des Bundesrates werden sich diese Vorschriften auf zwei wichtige EU-Richtlinien stützen:

  • Die Richtlinie (EU) 2016/2102 über den barrierefreien Zugang zu Websites und mobilen Anwendungen (auch bekannt unter WAD – Web Accessibility Directive, welche für Behördenwebsites im europäischen Raum verpflichtend ist).
  • Die Richtlinie (EU) 2019/882 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen (auch bekannt unter EAA – European Accessibility Act, der ab 28.6.2025 verbindlich ist).

Für Unternehmen bedeutet dies eine Orientierung an der Europäischen Norm für die Barrierefreiheit von IKT (EN 301 549), welche auch auf die WCAG 2.1 AA referenziert.

Welche Unternehmen sind betroffen?

Die Botschaft des Bundesrates gibt Hinweise darauf, welche Unternehmen von der Revision betroffen sein werden:

  • Alle Anbieter öffentlich zugänglicher kommerzieller und kultureller Dienstleistungen
  • Unternehmen, die ihre Dienstleistungen im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit anbieten

Was müssen Unternehmen beachten?

Verhältnismässigkeit

Angemessene Vorkehrungen müssen für das Unternehmen zumutbar sein. Unter anderem werden z.B. die Grösse und die finanziellen Möglichkeiten des Unternehmens berücksichtigt. (Zitat: «Ein besonderes Interesse gilt den Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens. Es wird keine Mindestgrösse festgelegt, da viele Anpassungen auch für kleine Unternehmen leicht zu bewerkstelligen sind. Dieses Kriterium stellt sicher, dass die ergriffenen Massnahmen für die Betroffenen angemessen und für die Unternehmen finanziell tragbar sind.»)

Konkrete Massnahmen

Bei digitalen Angeboten wird auf die EN 301 549 verwiesen, d.h. die barrierefreie Gestaltung nach WCAG 2.1 auf Konformitätsstufe AA ist zentral. Diese umfasst 50 Erfolgskriterien, die eingehalten werden müssen. Darunter fallen z.B. Alternativtexte für Grafiken, Untertitel und Audiodeskriptionen für Videos, Tastaturbedienbarkeit aller Funktionen, ausreichende Kontraste, anpassbare Textgrössen, usw.

Rechtliche Folgen

Die Verweigerung angemessener Vorkehrungen kann rechtliche Konsequenzen haben und kann zu Forderungen nach Schadenersatz führen.

Zeitplan und Inkrafttreten

Der Bundesrat plant, das revidierte BehiG am 1. Januar 2027 in Kraft zu setzen. Bis dahin stehen noch diverse Schritte an, die nun mit dem Eintreten der WBK-N begonnen haben.

Für Unternehmen bedeutet dies, dass sie voraussichtlich etwa eineinhalb Jahre Zeit haben werden, sich auf die neuen Anforderungen vorzubereiten.

Fazit und Empfehlungen

Die Teilrevision des BehiG stellt einen wichtigen Fortschritt für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen dar und bringt die Schweiz näher an internationale Standards. Für Unternehmen bedeutet dies:

  1. Jetzt handeln: Auch wenn die gesetzliche Pflicht erst frühestens 2027 kommt, lohnt es sich, schon jetzt in digitale Barrierefreiheit zu investieren.
  2. Bestandsaufnahme machen: Wo stehen Ihre digitalen Angebote heute in Bezug auf Barrierefreiheit? Unser Accessibility-Expertenteam bietet Ihnen zwei Optionen:
    • Review: Eine erste Bestandsaufnahme, die Ihnen einen guten Überblick über die wichtigsten Barrieren verschafft.
    • Audit: Eine vollständige Überprüfung aller 50 WCAG-Kriterien, die als Grundlage für eine offizielle Zertifizierung dienen kann.
      Unser besonderes Plus: Alle Prüfungen werden von einem gemischten Team aus Fachleuten mit und ohne Behinderungen durchgeführt, was eine besonders praxisnahe und umfassende Beurteilung garantiert.
  3. Strategie entwickeln: Planen Sie, wie Sie bestehende Angebote schrittweise barrierefrei gestalten und neue Angebote von Anfang an inklusiv konzipieren können.
  4. Know-how aufbauen: Profitieren Sie von unserem vielfältigen Schulungsangebot:
    • Öffentliche Workshops zu verschiedenen Aspekten der digitalen Barrierefreiheit.
    • Firmeninterne, auf Ihre spezifischen Bedürfnisse zugeschnittene Trainings für Ihre Teams aus Entwicklung, Design und Kommunikation.

Der Weg zu einer vollständig barrierefreien digitalen Welt ist noch weit, aber die BehiG-Revision ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Unternehmen, die frühzeitig handeln, können nicht nur rechtliche Risiken minimieren, sondern erschliessen sich auch neue Kundensegmente und verbessern ihre Dienstleistungen für alle Nutzerinnen und Nutzer.

Nächste Schritte für Interessierte

Als führendes Schweizer Kompetenzzentrum zur behindertengerechten Technologienutzung stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Unsere Expertise basiert auf jahrelanger Erfahrung und dem einzigartigen Ansatz, Menschen mit Behinderungen direkt in unsere Prüf- und Beratungsprozesse einzubeziehen. Gemeinsam entwickeln wir massgeschneiderte Lösungen, die nicht nur die gesetzlichen Anforderungen erfüllen, sondern echten Mehrwert für alle Nutzerinnen und Nutzer schaffen.

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