Service: Teile meines Selbsttests und Ausschnitte aus dem Interview zur SBB App können Sie sich hier anhören. 05 SBB und Quentiq – MP3 (FM-Qualität)
Selamet Aydogdu: Früher hätte das niemand gedacht
Selamet Aydogdu (30) hat früher bei Zugang für alle gearbeitet. Heute ist er beim Kanton Aargau für deren Web-Auftritt, fürs Intranet und – wie könnte es anders sein – für Accessibility im Allgemeinen zuständig – in diesem Zusammenhang finden Sie ihn übrigens auch in unserer Accessibility-Studie 2011. Selamet Aydogdu ist ausserdem Betreiber des unter Blinden und Sehbehinderten recht bekannten Technologie-Portals PC-Port.ch.
Vor etwa eineinhalb Jahren hat er sich sein Iphone 4 zugelegt und schnell gemerkt: Das Iphone ist das «Beste Handy Für Blinde» (Tagesanzeiger Interview). Weil ich weiss, dass Selamet so viel wie möglich aus seinen Geräten raus holt, frage ich ihn, wie viel ihm die im Iphone verbauten Kameras etwas bringen.
«Die bringen mir nicht wirklich viel. Es ist eher eine Spielerei, als dass ich mit der Kamera etwas produktives machen könnte». Natürlich gäbe es gute Anwendungen, wie etwa Licht-Messer, die ihm akustisch vermitteln, ob die Lichter im Zimmer brennen. Bei anspruchsvolleren Aufgaben, wie etwa einer Texterkennungs-App, fangen die Probleme recht schnell an: «Wenn ich mit dem Iphone versuchte, ein Dokument einzuscannen, konnte ich von Glück reden, wenn ich anhand der OCR-Resultate einigermassen erraten konnte, worum es im Dokument ging».
Auch der Barcode-Scanner von CodeCheck begeistert ihn nicht wirklich. Er brauche jeweils fünf Minuten oder länger, um den Barcode auf einem Produkt überhaupt zu lokalisieren.
Es sind aber Bereiche, an deren Entwicklung er durchaus glaubt. «Natürlich habe ich meine Hoffnungen. Früher hätte ja niemand daran geglaubt, dass Touch-Screens von blinden Menschen bedient werden könnten – und dann bewies Apple der ganzen Welt, dass es eben doch funktioniert. Also warum sollte sich im Bereich der Kameras, der Text- und Barcode-Erkennung nicht auch etwas ähnliches tun?»
Die SBB App: Eine gute Sache
Seine Bahn-Tickets löst Selamet Aydogdu schon länger mit der Iphone-App der SBB, die bei den Swiss App Awards in der Kategorie «Most Downloaded Apps» nominiert ist.
Über die App kann er eigentlich fast nur Gutes berichten. Er lobt die vielen Nutzer freundlichen Funktionen (den «Take Me Home» Knopf; oder dass man das Iphone nur schütteln muss, um das neueste E-Ticket aufzurufen) und die ordentlichen Verbindungs-Listen, die auch vom Iphone eigenen Screen-Reader VoiceOver verständlich gelesen werden. «Es macht fast den Anschein, als hätte man die App extra für blinde User barrierefrei gestaltet», vermutet er. Und wir bestätigen: Dem ist tatsächlich so: Die SBB haben im Verlauf des App-entwicklungsprozesses mehrfach den Kontakt zu blinden Iphone-Anwendern aufgenommen und deren Feedback zur Zugänglichkeit der App erfragt. Cool, dass man jetzt offenbar etwas davon merkt!
Natürlich finden aufmerksame Accessibility-Spezialisten, wie Selamet und ich es sind, immer noch Verbesserungspotential. Selamet würde z.b. begrüssen, wenn VoiceOver die tabellarischen Listen (etwa Verbindungsübersichten oder Abfahrtstafeln) nicht nur Zeile für Zeile, sondern Zellenweise vorlesen könnte; man hätte so wahrscheinlich schneller den Zugang zu einer bestimmten Information.
Und mir fällt auf, dass in der neuesten App-Version statt verständlicher Tabellen-Überschriften ab und zu ein unverständliches ‹Chuderwälsch› von voiceOver wiedergegeben wird. Etwa so: «Von Name Bern StationsID 008507000#85, Gleis (Null), Ankunft (Null),…»
Fazit: Eine gute App, an welcher blinde Iphone-User nicht mehr viele Mängel entdecken.
Quentiq: Eine App zum Laufen, aber nicht zum Davon Laufen
Es ist ein regnerischer Morgen, an welchem ich…
Moment, zunächst muss ich noch etwas klar stellen: Ja, ich selbst habe mir die Iphone-App von Quentiq zum Test für den ÄCHZessibility Award aufgetragen. Mich selbst vorzustellen, finde ich irgendwie doof. Sie können ja im Navigations-Bereich unseres Blogs auf meinen Namen klicken, wenn Sie mich noch nicht genug kennen sollten. Nur so viel: Ich bin auch blind; und ich bin auch Iphone-User. Also, noch einmal:
Es ist ein regnerischer Morgen, an welchem ich mit meinem Führhund Leo an der Strasse nicht weit von meiner Wohnung stehe und auf meinem Iphone diese «Start»-Taste antippe.
Die «Start»-Taste gehört zur Quentiq App, die – wenn ich das richtig verstehe – mir dabei helfen soll, meine Gesundheit im Allgemeinen, sowie meine Fitness im Speziellen zu verbessern, aufzuzeichnen und mitzuteilen. Die App ist bei den Swiss App Awards für eine Auszeichnung als «Best Web App» nominiert.
Ihr Funktions-Prinzip ist einfach: Ich sage der App, welche Gesundheits-Aktivität ich grade ausführe (bei mir: «Joggen»), wann ich damit anfange («Start»-Button) und wann ich wieder fertig bin («Stopp»-Button). Macht GPS Sinn, wird meine Position verfolgt.
Ich drücke also «Start»; und dann rennen Leo und ich, was das Zeug hält, dem nächsten Wald entgegen.
Dort angekommen, halte ich an, lasse Leo von der Leine und möchte nun gerne der Quentiq App mitteilen, dass mein Jogging fürs Erste beendet sei. Es dauert eine Weile, bis ich merke, dass der «Stop» Button von VoiceOver nicht als «Stop», sondern als «Logo» erkannt wird (hier müsste wohl eine korrekte Button-Beschreibung hinterlegt werden).
Noch mühsamer gestaltet sich das Lesen (oder Verstehen) der nun angezeigten Übungs-Analyse. VoiceOver erkennt zwar eigentlich alle Bezeichnungen, Zahlen und Einheiten. Es gibt diese aber in einer solch seltsamen Reihenfolge wieder, dass ich eine Weile brauche, um alles zu interpretieren. Auch hier müsste überprüft werden, wie die verschiedenen Programm-Elemente an VoiceOver übergeben werden; es sollte nicht zu schwer sein, dem Iphone Screen-Reader mitzuteilen, dass die Angabe «km/h» jeweils GEMEINSAM mit dem entsprechenden Zahlenwert gelesen werden muss, nicht getrennt davon.
Auch, wo die im App-Beschrieb erwähnten «Sozialen Prinzipien» ins Spiel kommen, habe ich bis heute nicht heraus gefunden. Sollte es etwa einen «Share On Facebook» Button geben, wurde mir dieser von VoiceOver schlicht nicht vorgelesen.
Fazit: Eine interessante, grundsätzlich barrierefreie App, die wohl mit geringem Aufwand voll zugänglich gemacht werden könnte.
Anmerkung zum Audio
Falls Sie sich übrigens fragen, warum in der Aufnahme meines Quentiq-Testlaufs die Iphone-Sprachausgabe nicht zu hören ist, liegt dies daran, dass ich jeweils mit Headsets arbeite und mir VoiceOver direkt ins Ohr sprach. Sollten Sie die Iphone-Stimme hören wollen, können Sie sich z.B. den vorhergehenden Eintrag unserer Serie Anhören oder im Internet nach weiteren VoiceOver-Demos suchen.
So geht’s weiter
In der nächsten Folge der ÄCHZessibility Awards pflegen wir unsere Pflanzen und unsere Finanzen, mit Koubachi und MoneyBook.
Downloads
Die ÄCHZessibility Awards stehen in keinem offiziellen Zusammenhang zu den Swiss App Awards. Sie wurden jedoch offensichtlich durch diese inspiriert.
Coole Reportage. Auch in Kombination mit Quentiq.
Merci fürs Feedback! Bin froh, wenn’s dir gefallen hat. 🙂