SERVICE: Zusätzlich zum Text, stellen wir Ihnen hier noch ein Audio-file mit Ausschnitten aus den Interviews zur Verfügung. 02-Local.CH und 20 Minuten Online (MP3, FM-Qualität)
Thomas Moser: Begeisterter Anwender, aber kein Freak
Das SmartPhone erfreut sich immer grösserer Beliebtheit; auch bei Menschen mit Behinderungen macht seine Popularität nicht halt. Das Iphone, welches mit einer Reihe guter assistiver Technologien (im Apple-Jargon «Bedienungshilfen» genannt) geliefert wird, wird insbesondere von blinden Menschen geschätzt.
Einer davon ist Thomas Moser (42) aus Zürich. Beruflich arbeitet er als Korrektor bei der Schweizerischen Bibliothek für Blinde, Seh- und Lesebehinderte, als Sänger oder Gesangslehrer. «ein vielseitiger Alltag, der mir sehr gefällt», sagt er dazu. Seit nunmehr zwei Jahren nutzt er ein Apple Iphone und ist davon hell begeistert. Um das Iphone bedienen zu können, aktiviert er das eingebaute Bildschirm-Leseprogramm VoiceOver. «Sobald VoiceOver läuft, kann ich durch antippen des bildschirms hören, welche Möglichkeiten mir zur Verfügung stehen; und um den Befehl auszuführen, muss ich doppel-tippen.» Der blinde User kann also mit dem Finger die Fläche des Screens erkunden, ohne dabei irrtümlicher Weise ständig Funktionen auszuführen. Lachend fügt Thomas Moser dann noch an «Sobald VoiceOver eingeschaltet ist, wird das Iphone für Sehende sehr schwierig zu bedienen».
Thomas Moser findet, dass das Iphone grundsätzlich einfach zu bedienen sei. Die Bedienung erschloss sich ihm quasi von selbst. Sein Iphone hat er völlig selbständig konfiguriert und nur wenige Male musste er sich Unterstützung holen.
Er bezeichnet sich quasi als hartnäckigen Anwender: «Wenn ich etwas brauche, reize ich es voll aus». Dabei ist er aber kein Freak, sondern einfach ein «intensiver Anwender», der seine Lieblings-Apps bis ins Detail kennt.
local.ch: Sehr Gäbig, recht zugänglich
Für den ÄCHZessibility Award hat sich Thomas Moser die Iphone-App von local.ch angeschaut (einmal installiert, erscheint sie auf dem Iphone Screen als «Telefonbuch»). Die Anwendung ist bei den Swiss App Awards in der Kategorie «Most Downloaded Apps» nominiert. Auch von dieser App kann er fast nur gutes Berichten, zumal sie auch einfach zu bedienen ist: «Es gibt ein Eingabefeld, in welches man einen Suchbegriff eintippt. Dann aktiviert man den Button zum Suchen und erhält die Liste der Telefon-Nummern, die man dann auch gleich aus der App heraus anrufen kann.»
Auch die Funktion, Telefonbuch-Einträge in die eigenen Kontakte zu übernehmen – oder die bereits vorhandenen Kontakte aktualisieren zu lassen – lässt sich super bedienen.
Der einzige Bereich, der für VoiceOver-anwender nicht optimal gestaltet ist, ist derjenige mit Karten-Daten. Zur Zeit lässt sich zwar etwa ermitteln, wie weit entfernt zum aktuellen Standort sich ein Restaurant befindet; In der local.ch App lässt sich aber offenbar nur eine visuelle Karte, nicht aber eine schriftliche Weg-Beschreibung zum gewünschten Punkt anzeigen. Vielleicht, so thomas Moser, könnte man die Adresse ja mit einer zugänglichen Navigations-App verknüpfen.
Fazit: Offenbar haben wir mit der App von Local.ch einen netten Start erwischt. Die essenziellen funktionen scheinen mit VoiceOver zugänglich zu sein. Nebst einigen Buttons, die auch bei deutscher Oberfläche von VoiceOver in englisch gelesen werden, könnte man als Verbesserungsvorschlag lediglich das Fehlen einer Weg-Beschreibung in Textform bemängeln.
Kurt Morandi: Anwender und Feedbacker
Kurt Morandi ist unser nächster App-Prüfer. Der 42 jährige ist schon seit seiner Geburt vollblind, ist ausgebildeter Teleoperateur und arbeitet bei der Kantonalen Verwaltung in Liestal. Sein Hobby sind Computer, und das Interesse an Iphones und Ipads entsprechend gross. Er war wohl seiner Zeit einer der ersten blinden Iphone-Anwender in der Schweiz. Vermutlich inspiriert durch diesen Testbericht von Marco Zehe, erstand er sich kurz nach seinem Erscheinen ein Iphone 3gs. Ja, er habe zwar noch alte Handies mit fühlbaren Tasten bei sich rum liegen, aber im Grossen und Ganzen nutze er nur noch das Iphone oder das Ipad. «Es gibt inzwischen Abende, an denen ich keinen normalen Computer mehr einschalte. Stattdessen greife ich zum Ipad, wenn ich etwa vor dem Schlafen Gehen noch meine Mails checken will».
Kurt Morandi ist aber mehr als ein Anwender: Er gehört zu jenen, die auch mal einen App-Entwickler kontaktieren, wenn Probleme mit seiner assistiven Technologie auftreten. Gerne erzählt er etwa von der Ipeng App, mit der sich die Logitech Squeezebox Player fernsteuern lassen. Die App war lange Zeit für blinde Menschen völlig unbrauchbar; doch nachdem sich Kurt Morandi als Beta-Tester meldete und sich für die Verbesserung der Barrierefreiheit einsetzte, wurde die App inzwischen zur umfassendsten Squeezebox-anwendung, die von blinden genutzt werden kann.
20 Minuten Online: Läuft gut und hört auf uns
Zur App von 20 Minuten Online erzählt er mir eine ähnliche Geschichte: «Eine Zeit lang konnte ich 20 Minuten nicht mehr auf meinem Ipad lesen. Wahrscheinlich wurden viele Elemente als Grafiken in die app eingebaut. Anschliessend nahm ich mit dem Leiter der 20 Minuten Digital-Redaktion Kontakt auf, informierte ihn über die Probleme und konnte veranlassen, dass diese behoben wurden.»
Kurt Morandi betont, wie offen das IT-Team bei 20 Minuten auf sein Feedback reagiert habe. Man könne ihm jeweils sehr genau sagen, in welchem Update seine Mängel behoben würden. Bei anderen Apps sei das zum Teil etwas umständlicher.
Die 20 Minuten App vollständig auf Barrierefreiheit zu überprüfen, würde unsere Zeit sprengen, zumal man mit der Anwendung inzwischen viel mehr kann als einfach nur Zeitung lesen. Genau das Lesen, die zentrale Funktion also, funktioniert laut Kurt Morandi ganz gut, und man könne sich auch leicht zu einer gewünschten Rubrik innerhalb der App bewegen.
Etwas weniger gut scheint es um die sozialen Funktionen in der App zu stehen: «Ich mache das zwar nicht sehr regelmässig; aber als ich einmal die Leserkommentare zu einem Artikel ansehen wollte, funktionierte das aus irgend einem Grund nicht».
Auch die Inhalte, die sehenden Benutzern grafisch vermittelt werden, könnten noch barrierefreier gestaltet werden. So wird dort, wo Sehende etwa ein zur Wetterlage passendes Symbol erkennen, Blinden nur eine «Taste» (sogar ohne funktionsbeschreibung) vorgelesen.
Weitere Funktionen, wie etwa den auch in der App enthaltenen TV-guide, nutzt Kurt Morandi nicht, «dafür habe ich eine andere Quelle».
FAZIT: Die essentiellen Funktionen der 20 Minuten Online App sind auch für blinde Anwender zugänglich. Noch besser: Die App-Entwickler haben Kontakt zu VoiceOver-Usern, nehmen deren Feedback entgegen und setzen es regelmässig um. Wir können also gespannt sein, ob sie demnächst ein für alle zugängliches Wetter-Symbol und Verbesserungen für die sozialen Funktionen einbauen.
So Geht’s Weiter
Im nächsten Teil der ÄCHZessibility Award Serie richten wir unsere Aufmerksamkeit auf zwei Apps, die beide etwas mit Verkehr zu tun, aber sonst kaum etwas gemeinsam haben.
Downloads zum Thema
Hinweis: Die ÄCHZessibility Awards stehen in keinem offiziellen Zusammenhang mit den Swiss App Awards. Sie wurden aber offensichtlich durch diese inspiriert.