TCS: Standards helfen
Ein hörbar gut gelaunter Patrick Strössler (er leitet die E-Channels beim Touring Club Schweiz) stand mir am vergangenen Freitagnachmittag kurz Rede und Antwort. Zu seiner und auch unserer Überraschung, konnten wir die Iphone App des TCS mit dem ÄCHZessibility Award für die auch von Blinden nutzbare Karten-Ansicht der Schweizer Verkehrslage mit einer positiven Auszeichnung beehren. Bei den offiziellen Swiss App Awards ging der TCS noch leer aus: Mit 700’000 Downloads war die Anwendung zwar zu Recht für die Auszeichnung als «Most Downloaded App» nominiert, wurde dann aber von der SBB (2 Millionen Downloads) geschlagen.
Bei der Entwicklung der App seien, so Strössler, keine blinden User involviert gewesen. Jedoch sei es bekannt, dass die mit der App-entwicklung beauftragte Hortis GRC SA sich jeweils sehr eng an die von Apple vorgegebenen Standards halte. „Dazu gehören die Empfehlungen bezüglich Programm-Ergonomie, die maximale Anzahl Buttons oder dass von allen Grafiken jeweils zwei Versionen in verschiedenen Auflösungen bereit gestellt werden“, erläutert er. Auch was die von uns so sehr gelobte Karten-Ansicht angeht, habe man lediglich Apple’s Vorgaben befolgt: Tippt man auf der Google Maps Karte einen Punkt einmal an, erscheint ein PopUp mit einer Kurzinformation zur Verkehrslage (auch Blinde hören diese, wenn der Finger einen Info-Punkt berührt); doppeltes Tippen öffnet dann die Ansicht mit allen Details.
Die Einhaltung von definierten Standards habe bei allen TCS E-Services einen hohen Stellenwert und führe in vielen Fällen auch zu entsprechend verbesserter Zugänglichkeit – „wahrscheinlich werden Sie dies auch bei einem Besuch auf unserer bald aufgeschalteten, neuen Website feststellen“, vermutet Patrick Strössler.
Das Thema Barrierefreiheit ist für ihn übrigens keineswegs unbekannt: Bevor er beim TCS arbeitete, war er in der Bundesverwaltung immer wieder damit konfrontiert: „Beim Bund musste jeweils alles barrierefrei zugänglich sein“, erinnert er sich, „Beim TCS ist Barrierefreiheit nicht mehr das oberste Thema, aber sie wird eben gerade durch das Einhalten von Standards quasi automatisch gefördert“.
Ob und warum eine blinde Person ihre App überhaupt nutzen sollte, fragte man sich bis zur Auszeichnung durch „Zugang für alle“ eigentlich nicht. Mit unserem Award habe man das natürlich schon diskutiert, „und wir haben festgestellt, dass blinde Personen zwar nicht Autofahrer, aber immer Mitfahrer sein und einen sehenden Fahrer mit der TCS-App unterstützen können“.
Natürlich wolle man, wenn es denn die ergonomischen Richtlinien zuliessen, auch die übrigen Teile der App für VoiceOver zugänglich machen. Ohnehin sei demnächst ein App-Update geplant, in welchem etwa die Funktionalität des „Notfall“ Buttons durch GPS-Integration ergänzt werden soll.
Koubachi: Die Entscheidung, was nicht gemacht wird
Philipp Bolliger ist CEO und Gründer von Koubachi und verantwortlich für die Iphone App. Als wir zusammen sprechen, erstaunt er mich zunächst mit der Aussage, dass die Accessibility ihrer App, insbesondere für VoiceOver-Anwender, durchaus ein berücksichtigtes Thema sei: „Wir haben immer darauf geachtet, den Apple Guidelines so nahe wie möglich zu folgen, inklusive den 180 Seiten umfassenden Human Interface Guidelines und haben uns in diesem Rahmen auch an die Vorgaben für assistive Technologien gehalten“.
Trotzdem kam die Koubachi App, was die Accessibility angeht, bei unserem Test ziemlich schlecht weg – so schlecht, dass wir ihr die Auszeichnung für die am schlechtesten umgesetzte App verliehen.
Dies kann Philipp Bolliger durchaus nachvollziehen. Und er erklärt, dass man Accessibility bis jetzt nur quasi grundsätzlich umgesetzt habe, oder noch deutlicher: „Wir haben darauf geachtet, uns die Möglichkeit einer zugänglichen Version nicht zu verbauen“. Koubachi wäre aber eigentlich bereit für volle VoiceOver-Kompatibilität. Es fehlen jedoch noch die vom Screen-Reader gelesenen alternativen Beschreibungen. Diese beizufügen, sei eines von etwa 500 Features, die man noch auf der Todo-Liste habe. „Als Startup-Unternehmen sind wir zur Zeit noch immer in der Phase, in welcher wir jeden Franken vier Mal umdrehen, bevor wir ihn ausgeben. Unser Challenge ist, zu entscheiden, welche der vielen features wir noch nicht einbauen“, erklärt Philipp Bolliger weiter.
Wie viele Arbeits-Stunden für die vollständige Umsetzung der Accessibility anfallen würden, kann er nicht sagen. Man müsste dazu aber mehrere hundert Labels und Seiten bearbeiten.
Technisch vergleicht er die Barrierefreiheit damit, die App in einer neuen Sprache anzubieten: Zur Zeit würden hier nur Deutsch und Englisch unterhalten, wahrscheinlich zum Verdruss der Westschweizer Kundschaft. Anders als beim Übersetzen in andere Sprachen, scheine es jedoch kein Unternehmen zu geben, welches in Sachen Barrierefreiheit Unterstützung anbiete.
Auch blinde User hätten sich übrigens bislang noch nicht bei Koubachi gemeldet. „Mit Ihrer Auszeichnung sind Sie die ersten, die uns direkt auf Zugänglichkeit für assistive Technologien ansprechen“. Feedback von Blinden, die die Koubachi App gerne nutzen möchten, sei stets willkommen, genauso wie Leute, die sich gerne zum Beta-Testing für neue Funktionen melden möchten.
Wann VoiceOver-Accessibility in die App implementiert werde, kann mir Philipp Bolliger nicht sagen. Das Feature, welches im Moment die meisten Entwicklungs-Ressourcen in Anspruch nehme, sei die Einbindung der kürzlich erschienenen Sensor-Hardware, welche eine Pflanze quasi automatisch auf ihre Gesundheit untersucht und die entsprechenden Messungen via WLAN zugänglich macht.
UBS: Vom Blogger, der von nichts wusste
Tja, was soll ich da sagen? Da schreibe ich einen Verriss der UBS-App, dannverleihen wir der UBS einen Award für die unbrauchbarste App, und DANN kommt so ein Mediensprecher, der all meine Anschuldigungen zunichte macht.
Entgegen unserer „Behauptung“, die UBS biete kein für blinde zugängliches „Login-Gerätchen“ an, schreibt mir Andreas Kern von den „UBS Media Relations“ etwa: „Wir bieten zum einen den UBS Access Key an, zum andern gibt es eine barrierefreie Variante des UBS Card Readers mit einem Kopfhöreranschluss und einer Sprachausgabe (bereits seit 5 Jahren erhältlich). Beide Systeme erlauben auch blinden Personen einen Login ins UBS e-banking.“
Auch die „Anschuldigung“, blinde Kunden müssten für das UBS-Token zusätzliche CHF 65.—bezahlen, wird zurück gewiesen: „Kunden, die uns auf ihre Blindheit oder starke Sehbehinderung aufmerksam machen, stellen wir den USB-Stick selbstverständlich kostenlos zu. Auch der Kartenleser mit Sprachausgabe ist kostenlos.“
Wir haben also auf der einen Seite meine Texte, die nun wohl im Sumpf schlechter Recherche unter gehen sollten. Die Grossbank, auf der anderen Seite, erwähnt spezielle Dienstleistungen, welche Menschen mit Behinderungen ohne weitere Kosten bei ihnen beziehen können.
Ich bin natürlich froh, dass wir nun der Welt mitteilen können, dass die UBS-App für blinde Kunden doch nicht so unbrauchbar zu sein scheint, wie wir dachten.
Ich erlaube mir aber, mein Erstaunen darüber zum Ausdruck zu bringen, dass erst ein Pressesprecher diese lobenswerten Dienstleistungen erwähnt.
Warum die Berater der UBS Serviceline weder mir noch mehreren anderen blinden Personen vom zugänglichen Login-Kästchen oder vom gratis abzugebenden USB-Stick etwas erzählten, wird wohl das Geheimnis der UBS bleiben.
Ich bin jedenfalls schon mal gespannt, ob mein UBS-Kundenberater mehr darüber weiss, wenn ich ihn das nächste Mal anrufe.
Trotz aller Missverständnisse: Die UBS scheint die Bedürfnisse behinderter Menschen zukünftig noch stärker berücksichtigen zu wollen, wie Andreas Kern erwähnt: „Bei der laufenden Überarbeitung von UBS e-banking und UBS Quotes wird es merkliche Verbesserungen für blinde und sehbehinderte Kunden geben.“; und weiter: „Im Rahmen der Erneuerung unserer Geschäftsstellen in der Schweiz wird bis Ende 2013 in der Regel jeder Dritte Bancomat pro Standort rollstuhlgängig werden. Zudem werden ab der zweiten Jahreshälfte bestehende Bancomaten sukzessive mit einer Sprachausgabe-Funktion ausgerüstet. Ziel ist, dass künftig an jedem Standort von UBS mindestens ein Bancomat mit Sprachausgabe verfügbar ist.“
Und auch, was die über 100‘000 Mal heruntergeladene Iphone-App angeht, scheint sich etwas zu tun: „Wir sind uns bewusst, dass unsere Mobile-App hinsichtlich Accessibility bisher nicht ideal ausgestaltet ist und werden bis Ende Jahr über eine Lösung verfügen, bei dem sich der Kunde nicht mehr zwingend in e-banking einloggen muss, um die App zu verwenden.“
Die Stiftung „Zugang für alle“ dankt an dieser Stelle den drei Firmen für ihr Feedback. Wir sind in allen Fällen gespannt darauf, wie sie die Accessibility weiter entwickeln und halten die Leserschaft dieses Blogs gerne darüber auf dem Laufenden.