Ein weiterer Einblick

Bei uns in der Stiftung «Zugang für alle» stehen wir mitten in den Arbeiten für die nächste Schweizer Accessibility-Studie. Die Testphase ist mittlerweile abgeschlossen. Dabei haben wir rund 40 Onlineshops auf ihre Zugänglichkeit getestet. Die Publikation der Ergebnisse ist für November 2020 vorgesehen. Heute geben wir einen weiteren Einblick in die Testphase.

Wir fokussieren in diesem Beitrag auf die Barrieren, die für ganz verschiedene Nutzer·innen ein Hindernis darstellen. Menschen mit kognitiven Behinderungen, Menschen mit körperlichen Behinderungen, aber auch Gehörlose treffen auf Barrieren, die vielleicht nicht immer offensichtlich sein mögen. Deshalb wollen wir heute einige davon zum Thema machen.

Online einkaufen, das machen alle. Alle? Einige von uns begegnen dabei unüberwindbaren Hindernissen. Viele Onlineshops sind nämlich leider nicht barrierefrei.

Fehlervermeidung…

… lautet eines der Erfolgskriterien der WCAG (WCAG 3.3.4). Es geht dabei einerseits um Websites, die eine für die Benutzer·innen auftretende rechtliche Verpflichtung oder finanzielle Transaktion zur Folge haben, andererseits um solche, die benutzerbezogene Daten ändern oder löschen.

Im Falle der Onlineshops müssen also unsere Nutzereingaben vor dem Kaufabschluss überprüfbar, bestätigt oder reversibel sein, denn beim Kauf in einem Onlineshop handelt es sich zweifelsfrei um einen Prozessabschluss mit finanziellen bzw. rechtlichen Folgen.

Vielen Onlineshops können wir zugute halten, dass sie den Käufer·innen vor Kaufabschluss eine Bestellübersicht bieten und der Kauf klar und deutlich als solcher bezeichnet ist, beispielsweise als «Jetzt kaufen». Und doch gibt es Shops, in denen man die Kreditkarteninfos eintippt und beim nächsten Klick – schwupps – das Produkt gekauft hat. Eine übersichtliche Zusammenstellung vor dem endgültigen Abschicken der Bestellung bleibt in diesem Fall aus.

Wo bin ich und was finde ich hier?

Damit es den Besucher·innen klar wird, auf welcher Webseite sie sich gerade befinden und was sie von ihr erwarten dürfen, ist pro Webpage ein Titel gefordert, der das Thema oder den Zweck der Seite beschreibt (WCAG 2.4.2). Davon profitieren

  • Menschen mit kognitiven Behinderungen, reduziertem Kurzzeitgedächtnis oder mit Leseschwächen,
  • Menschen mit starken körperlichen Behinderungen, die für das Bedienen von Websites und für das Wechseln zwischen den Browsertabs auf Audio-Hilfsmittel setzen,
  • Menschen mit visuellen Behinderungen, weil der Seitentitel etwas vom ersten ist, was sie wahrnehmen können (bzw. vorgelesen bekommen),
  • alle Nutzer·innen, weil dank einem aussagekräftigen Seitentitel schnell und einfach deutlich wird, ob die Informationen auf dieser Seite relevant sind für die aktuelle Situation.

Viele Onlineshops arbeiten mit aussagekräftigen Seitentiteln. Allerdings fehlen bei einigen jeweils die Angaben zum Seitenbetreiber. Statt nur «On-ear Headset der Marke XY» heisst eine Produktdetailseite also besser «On-ear Headset der Marke XY | Meier-Elektronik – Ihr Onlinehändler». Die Ergänzung des Seitentitels um den Seitenbetreiber freut übrigens nicht nur die User·innen, sondern auch Suchmaschinen.

Manche Onlineshops bieten im eigentlichen Shop aussagekräftige Seitentitel, beim Check-out jedoch nicht. So folgen dann durchaus vier, fünf Pages aufeinander, die alle bloss als «Check-out» betitelt sind. Hier fehlt nicht nur die Angabe des Shopbetreibers, sondern auch in welchem Schritt des Check-outs ich mich befinde (beispielsweise Adressangaben, Zahlungsmittel, Bestellübersicht, Kaufbestätigung).

Schlecht getextete Seitentitel sind nichts, was einen Kauf verunmöglicht. Weil aber die Orientierung im Onlineshop dadurch mangelhaft ist, können sie zu einem Ärgernis für potenzielle Kund·innen werden.

Die Zeit läuft (ab)

Menschen mit körperlichen Behinderungen benötigen häufig mehr Zeit in der Bedienung von Webseiten, zum Tippen, Reagieren oder um Aktionen abzuschliessen.

Menschen mit kognitiven oder sprachlichen Behinderungen lesen langsamer und brauchen unter Umständen länger, das Gelesene zu verstehen.

Gehörlose Menschen, deren Erstsprache die Gebärdensprache ist, mögen mehr Zeit brauchen, um geschriebenen Text zu lesen. Für sie ist die Schriftsprache mit ihren Buchstaben (statt Gebärden) eine erlernte Zweitsprache, die sich von ihrer Erstsprache stark unterscheidet. Der Umgang mit Informationen in Schriftsprache ist für Gehörlose deshalb eine Herausforderung und für viele sehr eingeschränkt. Für gehörlose Menschen ist die uneingeschränkte Verwendung ihrer Mutter- und Erstsprache, somit der Gebärdensprache, ein wichtiger Beitrag zur gleichberechtigten Nutzung von Informationsangeboten.

Menschen mit starken Sehbehinderungen, die sich auf Vergrösserungssoftware verlassen, brauchen ebenfalls länger, um sich auf Webseiten zu orientieren. Im Gegensatz zu normalsehenden Nutzer·innen sehen sie häufig nicht die ganze Breite einer Page vor sich, sondern nur Ausschnitte davon. So bewegen sie sich häufig horizontal und vertikal durch eine Webseite.

Blinde Menschen, die mit Screenreadern arbeiten, brauchen unter Umständen Zeit, um sich auf einer Webseite zurechtzufinden. Im Gegensatz zu normalsehenden User·innen nehmen sie eine Seite strikt linear wahr, es gibt kein Nebeneinander, keine Zweidimensionalität.

Zusammengefasst gibt es eine breite Nutzer·innengruppe, die darauf angewiesen ist, dass ihr genügend Zeit zur Verfügung steht, um eine Website zu besuchen (WCAG 2.2). Time-out-Regeln stellen sie vor Schwierigkeiten.

Unter den durch uns analysierten Onlineshops gibt es nur bei wenigen Time-outs. Veranstaltungsportale mit Ticketverkauf haben solche aber häufig eingebaut. Mancherorts läuft wenig wahrnehmbar eine Uhr mit, die in kleiner Schrift eingeblendet wird. Während sehende User·innen die Uhr unter Umständen übersehen, weil sie sich nicht im sichtbaren Bildbereich befindet, keine Aufmerksamkeit auf sich zieht, etc., wird sie im unglücklichsten Fall vom Screenreader gar nicht vorgelesen oder als Uhrzeit ausgegeben. Dass es sich um einen Countdown handelt, wird nicht vermittelt. Wenn der vorher gefüllte Warenkorb plötzlich wieder leer ist, zerbricht man sich den Kopf, wie, wann und weshalb das passieren konnte.

Eine andere Art von Time-out kann beim Kaufabschluss auftreten: Aufgrund der Zweifaktorauthentifizierung (Sicherheitsanforderungen) werden nicht nur Kreditkarteninformationen abgefragt, sondern auch ein an eine hinterlegte Mobilenummer geschickter Code. In einzelnen Shops ist die Zeitspanne, die für das Eingeben des Codes zur Verfügung gestellt wird, so kurz, dass die halbseitige gelähmte Testerin den Code nicht rechtzeitig eingeben kann und ihr der Kauf verunmöglicht wird.

Résumé

Die Web Content Accessibility Guidelines nehmen mit gutem Grund die ganze Breite von Behinderungen in den Blick. Viele Aspekte sind den Anbietern von Onlineshops wohl kaum bewusst. Wenn man sich vor Augen hält, wie gross die potenzielle Kundschaft ist, der das Onlineshopping erschwert oder verunmöglicht wird, bleibt zu hoffen, dass die Shopbetreiber in naher Zukunft einen Blick dafür entwickeln und ihre Angebote zugänglich für alle gestalten.

Dank

Die Schweizerische Accessibility-Studie wird unterstützt durch das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen, die Schweizerische Post, die SBB, die Stiftung Cerebral, die Hasler-Stiftung, das Informatiksteuerungsorgan des Bundes, das Sozialdepartement der Stadt Zürich und den Gönnerverein der Stiftung Zugang für alle.

	

	

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