Gendergerechte Sprache und Barrierefreiheit

Wie schreibt man gendergerecht und ist dabei gleichzeitig barrierefrei? In diesem Beitrag vergleichen wir die verschiedenen Optionen miteinander und testen, wie gut sie mit dem Screenreader funktionieren.

Der Konflikt der Bedürfnisse

Um Menschen, die sich als nicht-binär identifizieren, auch durch die verwendete Sprache sichtbar zu machen, gibt es genderneutrale und gendergerechte Schreibweisen. Bisher gibt es im Deutschen keine normierte, einheitlich verwendete Schreibweise. Einige Schreibweisen führen zu Barrieren für Menschen mit Behinderungen. Screenreader lesen zum Beispiel je nach Einstellung die Sonderzeichen vor, was den Lesefluss stört. Für Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung können gendergerechte Formulierungen ebenfalls umständlich sein, da Texte dadurch oft komplizierter zu verstehen sind.

Wir stellen also fest, dass es verschiedene, sich teilweise widersprechende Bedürfnisse gibt. Ausserdem gibt es keine Einheitlichkeit innerhalb der Communities in Bezug auf eine präferierte Schreibweise. Der gleiche Aspekt kann verschieden gewertet werden. Die Auffälligkeit eines Sonderzeichens beispielsweise kann einerseits positiv bewertet werden: Eine Personengruppe wird sichtbar gemacht. Andererseits kann ein Sonderzeichen als negativ bewertet werden, da es die Lesbarkeit beeinträchtigen kann.  

Die Optionen im Test

Im Folgenden werden die verschiedenen Schreibweisen aufgelistet, zusammen mit den jeweiligen Vor- und Nachteilen. Ausserdem erklären wir, wie der Screenreader die Option ausgibt. Bei allen Varianten hängt die Art und Weise, wie diese vorgelesen werden, vom jeweiligen Screenreader und der benutzerspezifischen Konfiguration ab. Die meisten getesteten Screenreader lesen die verschiedenen Varianten korrekt nach den Regeln vor, die zum Vorlesen in der deutschen Sprache gelten. Da alle Varianten aus grammatikalischer Sicht nicht korrekt sind, lesen die meisten Screenreader die Varianten in ihrer tatsächlichen Schreibweise vor, beispielsweise «Kund-Stern-innen» für Kund*innen. Dieses Verhalten ist aus Sicht einer Person, die einen Screenreader verwendet, durchaus sinnvoll, denn es könnte sich bei einem grammatikalisch nicht korrekt geschriebenen Wort immer auch um einen Tippfehler handeln, den man beheben möchte, beispielsweise «Kund8innen» («Kund-Acht-innen», wo die 8 aus Versehen getippt worden wäre).

Binnen-I: KundInnen

Der Screenreader liest diese Variante mit einem kaum merkbaren Stopp vor. Diese Aussprache wird von Screenreader-Nutzenden als sehr angenehm empfunden. Die Variante Binnen-I gilt als binär (männlich, weiblich). Menschen, die sich als non-binär identifizieren, werden damit nicht adressiert.

Schrägstrich: Kund/-innen

Bei dieser Option liest der Screenreader das Sonderzeichen vor: «Kund-Schrägstrich-innen». Der Schrägstrich suggeriert ein binäres System, wodurch Menschen, die sich als non-binär identifizieren, sich ausgeschlossen fühlen können. Der Vorteil dieser Variante ist, dass es abgesehen von der vollständigen Doppelnennung die einzige Form der gendergerechten Sprache ist, die von den deutschen Rechtschreiberegeln abgedeckt ist.

Mittepunkt: Kund·innen

Je nach Screenreader und dessen Konfiguration wird diese Variante entweder mit einem kaum merkbaren Stopp vorgelesen oder das Sonderzeichen wird ausgegeben, beispielsweise mit: «Kund-Leerzeichen-Markierung-innen». Typografisch wird der Mittepunkt bereits für andere Zwecke verwendet. In der deutschen Leichten Sprache dient er dazu, zusammengesetzte Wörter zu trennen, um die Lesbarkeit zu erhöhen (z.B. «Erdbeer·Kuchen»). Der Mittepunkt ist auf der deutschen Standardtastatur nicht vorhanden, was die Verwendung dieser Variante komplizierter macht. In Frankreich ist der Mittepunkt (point médian) als gendergerechte Schreibweise gebräuchlich (z.B. «les salarié·e·s» für «les salariés et les salariées»).

Lücke: Kund innen

Der Screenreader versteht das Leerzeichen als Unterteilung in zwei Wörter und liest es wie im restlichen Text mit einer sehr kurzen Pause, die nur bei einer tiefen Vorlesegeschwindigkeit bewusst wahrgenommen wird. Allerdings ist das potenzielle Trennen der Wortteile am Zeilenende ein unerwünschter Effekt, weshalb das Leerzeichen nicht empfehlenswert ist. Zudem gibt es aus typografischer Sicht Publikationen, in denen die Lücken zwischen den Wörtern so eng oder so weit gesetzt werden, dass der Lesefluss sowieso schon leicht gestört sein kann.

Unterstrich: Kund_innen

Je nach Screenreader und dessen Konfiguration wird das Sonderzeichen entweder mit einem kaum merkbaren Stopp vorgelesen oder als «Kund-Unterstrich-innen» ausgegeben. Aus typografischer Sicht ist der Nachteil, dass er durch seine breite Lücke Texte etwas schwerer lesbar macht.

Punkt: Kund.innen

Bei dieser Option liest der Screenreader das Sonderzeichen vor: «Kund-Punkt-innen». Der Punkt ist eines der häufigsten Satzzeichen und aus typografischer Sicht für einen anderen Zweck besetzt. Daher erscheint uns der Punkt nicht geeignet.

Genderstern: Kund*innen

Bei dieser Variante wird das Sonderzeichen vom Screenreader vorgelesen, also: «Kund-Stern-innen». Es handelt sich um ein auffälliges Zeichen, das auch semantisch gefüllt ist und typografisch keine andere Bedeutung hat. Laut einer Studie ist der Genderstern das Zeichen, das von der Selbstvertretung sowie Menschen mit Behinderung bevorzugt wird (siehe: https://www.bfit-bund.de/DE/Publikation/empfehlung-gendergerechte-digital-barrierefreie-sprache-studie-koehler-wahl.html).

Doppelpunkt: Kund:innen

Je nach Screenreader und dessen Konfiguration wird diese Variante mit einem kurzen Stopp vorgelesen oder das Sonderzeichen wird vorgelesen: «Kund-Doppelpunkt-innen». Das Zeichen hat typografisch gesehen bereits eine andere Bedeutung. Da der Doppelpunkt schlank ist, wird die Lesbarkeit kaum gehindert.

Fazit

Wichtiger als welche Schreibweise verwendet wird, ist die Einheitlichkeit innerhalb eines Textes. Rein orthografisch betrachtet sind alle Varianten falsch. Solange eine vorgeschriebene Option nicht existiert, gibt es keine einzig wahre und richtige Art zu gendern. Auch, weil bei den verschiedenen Bedürfnissen viele Widersprüche vorhanden sind, gibt es bisher keine zufriedenstellende Lösung. Deshalb sind wo immer möglich geschlechtsneutrale Formulierungen empfehlenswert (z.B. «Kundschaft» statt «Kund*innen», oder «Studierende» statt «Student:innen»). Wo keine geschlechtsneutrale Form möglich ist, verwenden wir bei «Zugang für alle» den Doppelpunkt. Diese Schreibweise schliesst auch Menschen ein, die sich als nicht-binär identifizieren. Uns ist wichtig, dass die gendergerechte Schreibweise für Screenreader-Nutzende auch auf rein akustischer Ebene wahrnehmbar ist. Dabei haben es Screenreader-Nutzende dank der Konfigurationsmöglichkeiten in der Hand, ob sie den Doppelpunkt als solchen hören möchten oder ob sie ihn nur als kurzen Glottisschlag hören möchten. Ausserdem ist der Doppelpunkt schlank und stört den Lesefluss nicht zu stark.

Bildquelle: Foto von Tim Bieler auf Unsplash

2 Kommentare zu “Gendergerechte Sprache und Barrierefreiheit

  1. Klar kann Mensch Alles beim Screenreader einstellen. auch ob dieses oder jenes Zeichen gesprochen wird. Aber eben nicht, wo es vorkommt. Deswegen verbieten sich Sternchen und Doppelpunkt von sich aus; sie kommen einfach zu oft in unterschiedlichen Bedeutungen vor.
    Letztlich bleibt nur der Unterstrich, weil er eben NICHT in anderen Bedeutungen vorkommt, als für eine Pause. Vergleiche Realität formt Sprache – Sprache formt Realität https://bit.ly/3nu8b7E
    Per Aspera

  2. Bonjour,
    Qu’en est-il pour le français ?

    Diese Tests sind sehr interessant… Wie sieht es mit Französisch aus?
    Hat «Accès pour tous» diesbezüglich Referenzen o. Empfehlungen?
    Danke

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