Ich bin so Barrierefrei

Wenn wir von Barrierefreiheit sprechen, beziehen wir diesen Begriff meistens auf technologische Barrieren. Diese können im Bezug auf Hilfsmittel, Bauten usw. auftauchen. Meiner Meinung nach beginnt Barrierefreiheit schon viel früher, es beginnt bereits in den tiefen Wurzeln der Kommunikation.
Mann hält den Hörer eines altenKabeltelefons in der Hand und brüllt hinein. Der gut gepflegte Mann trägt einen Anzug, seine Brille liegt vor ihm auf dem Tisch.

Situationen wie die Folgenden sind für mich so selbstverständlich, dass ich sie gar nicht mehr als aussergewöhnlich betrachte. Letzten Donnerstag wollte ich einen Bus-Chauffeur nach dem Weg fragen. Bemüht mir die einzuschlagende Richtung anzuzeigen, gestikulierte er wild mit der Hand. Diese gut gemeinte Bewegung bringt mir natürlich nichts, da ich sie nicht mit den Augen erfassen kann. Meine sehende Begleitung machte mich anschliessend diskret darauf aufmerksam. Würde man nun diese gestikulierte Bewegung in eine klare Richtungsanweisung umwandeln, z.B. «gehen sie gerade aus und drehen Sie nach rechts» wäre das schon viel wertvoller. Sie werden mir sagen: «Ja, aber sie sehen ja nichts, dass kann nur einem Blinden passieren». Gut, ein anderes Beispiel aus dem Alltag. Können Sie immer die Blicke ihrer Mitmenschen deuten? Oft sehen Sie das etwas nicht stimmt, aber erst wenn die Person ihre Gefühle in Worte fasst, können Sie verstehen was in ihr abgeht. Oder können Sie, wenn jemand ein neues Rezept degustiert, aus einer Grimasse wissen, weshalb er  oder sie den Geschmack nicht mag? Eigentlich geht es bei barrierefreier Kommunikation doch nur darum die Informationen für alle Sinne, die in die Kommunikation involviert sind zugänglich zu machen.

Genau aus diesem Grund versuche ich alles zu kommunizieren. Wenn man sich von Anfang an ausspricht, hat dies nicht nur Vorteile für alle beteiligten, sondern es verhindert auch grössere Streitigkeiten im Voraus. Diese Streitigkeiten entstehen aber schlussendlich auch nur, weil falsche oder falsch verarbeitete Informationen im Spiel sind, die nicht richtig interpretiert werden. Genau da, setzt die Barrierefreiheit im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien an. Da wo die Grenze zwischen Maschine und menschlichen Verstehen zu schmelzen beginnt. Gerade in der schriftlichen Kommunikation kommt mir das Wort «Semantik» in den Sinn. Eine semantisch korrekte Gliederung strukturiert den Inhalt klar sowohl für den Menschen, wie auch für die Maschine. Die Maschine, wiederum, ermöglicht es, den Menschen, der die Information aufgrund einer Sinneseinschränkung nicht aufnehmen kann, die Botschaft trotzdem korrekt zu erfassen. Sie sehen, der Kreis ist wieder geschlossen, denn Barrierefreiheit bedeutet nichts anderes als klare Informationsvermittlung für alle.

Nur aufgrund klarer Informationen kann ich entscheiden, diskutieren, mir eine Meinung bilden, kurzgefasst etwas voll ernst nehmen und ernst genommen werden. Dieser Gedanke erklärt, wie wichtig es ist alle Kommunikationswege und Benutzerschnittstellen zugänglich zu machen.

Wenn wir richtig kommunizieren, erst dann wirken die technologischen Hilfen vollumfänglich.
In diesem Sinne wünsche ich euch eine gute Kommunikation!

4 Kommentare zu “Ich bin so Barrierefrei

  1. Das ist wirklich Alltag für Blinde. Man muss den Leuten aber zugute halten, dass Blinde aus ihrem jahrelang eingeübten Kommunikationsmuster herausfallen. Blinde sind in der Gesellschaft zu wenig präsent. ich bin schon froh, dass die Leute nicht anfangen, lauter mit mir zu reden, als ob ich taub und nicht blind wäre;-)

  2. Hey Domingos

    Ich schliesse mich deiner Aussage völlig an. Was für mich gegensätzlich erscheint, ist die Tatsache dass viele Sehende glauben, wir hätten ein besser entwickeltes Gehör aufgrund unserer Blindheit. Wenn wir es aus diesem Gesichtspunkt betrachten, ist es völlig unbegründet, dass man mit uns lauter spricht. Aber wie du sagst, wir sollten in der Gesellschaft mehr präsent sein. Presänt aber nichtnur mit Sonderangeboten, wie organisierte Freizeitgruppen von blindenverbänden usw. sondern präsent auch z.B. im Ausgang allein als blinde Person unter Sehenden. Denn nur so, erhalten Sehende die Möglichkeit sich bewusst mit der Thematik auseinander zu setzen. Dies bedingt von uns natürlich auch eine sehr grosse Offenheit, Offen über unsere Bedürfnisse sprechen zu können.

  3. Das Problem ist, dass die «sehende» Welt so sehr auf den visuellen Sinn fokussiert ist, dass sich die gesamte Wahrnehmung sowie das gesamte Denken darum herum aufbaut. Ein nicht-sehen liegt vollkommen ausserhalb der erfahrungswelt der Allermeisten.

    Ich beschwere mich oft darüber, dass der Begriff «Webdesign» synonym ist zur Wahl von Formen und Farben, und zum Bilder malen. Dass Webdesign zuallererst Etwas mit Information und deren Strukturierung zu tun hat, das wollen Webdesigner nicht einsehen. Information ist Etwas, das für die meisten Menschen ausschließlich visuell wahrgenommen wird.

    Ich selbst bin nicht blind. Allerdings sehe ich schlecht, teils aufgrund des Alters, teils aufgrund von grauem Star. Ich brauche also große Schriften, um Webseiten lesen zu können. Leider muss ich auch diese Seiten hier auf 180% vergrößern, um sie lesen zu können. Ob es auch für «Behinderungen» eine Art «Betriebsblindheit» gibt?

    Ich bin auch nicht taub. Aber ich höre schlecht. Auf einer Seite höhre ich fast Nichts. Daraus resultiert vor Allem die Unmöglichkeit, Geräusche zu orten. Menschen, die Geräusche orten können, können nicht verstehen, warum ein «kommst Du mal bitte» nicht in meiner sofortigen Anwesenheit resultiert. Aber diese Aufforderung wirft für mich sofort die Frage auf: «Wohin soll ich denn kommen?». Ich höre nun mal nicht, von woher diese Aufforderung kommt.

    Menschen mit funktionierenden Sinnen können sich ein Leben ohne oder mit eingeschränkter Nutzbarkeit dieser Sinne nicht vorstellen. Vielleicht genauso wenig wie Menschen mit Behinderungen sich ein Leben ohne diese Behinderung oder mit anderen Behinderungen vorstellen können? Was ausserhalb der eigenen Erlebniswelt liegt, liegt oft genug auch ausserhalb des eigenen Denkens. Man sollte das Niemandem persönlich zum Vorwurf machen, aber man sollte daran arbeiten, dass sich der Vorstellungshorizont der Mitmenschen erweitert.

  4. Siegfried schrieb:

    «Ich beschwere mich oft darüber, dass der Begriff “Webdesign” synonym ist zur Wahl von Formen und Farben, und zum Bilder malen. Dass Webdesign zuallererst Etwas mit Information und deren Strukturierung zu tun hat, das wollen Webdesigner nicht einsehen. Information ist Etwas, das für die meisten Menschen ausschließlich visuell wahrgenommen wird.»

    Danke für diese Ausführungen, Siegfried! Du bringst auf den Punkt, warum ich als «Webdesigner» den Begriff «Webdesign» ablehne. Der Sinn und Zweck von Webseiten ist, Informationen zu vermitteln. Aber dieser Aspekt geht in all der Verkünstelei von «Webdesignern» oft völlig unter. So sind Informationen oftmals nicht nur für blinde oder sebehinderte Menschen unzugänglich, sondern auch für nichtbehinderte Menschen, wenn sie z. B. Flash blockieren oder nicht installiert haben. Gute «Webdesigner» sollten sich wieder auf den ursprünglichen Zweck von Webseiten zurückbesinnen, die Informationsvermittlung. Dann klappt’s auch mit der Barrierefreiheit. Das heißt nicht, daß Webseiten nicht auch ästhetisch sein können. Es gibt viele wunderbare Beispiele, wie man Webseiten ästhetisch und barrierefrei gestalten kann.

    Nicht ganz verstehe ich deine Beschwerde, daß du diese Seite hier vergrößern mußt, um sie lesen zu können. Eine Webseite muß nicht so erstellt sein, daß sie ohne Eingriffe durch den User jeder Situation gerecht wird. Das geht gar nicht. An einer riesigen Schrift beispielsweise würde sich wieder ein Normalsichtiger massiv stören. Eine Webseite muß daher nur die Möglichkeit für entsprechende Eingriffe, die es jedem ermöglichen, die Informationen aufzunehmen, bieten. Dabei ist vor allem das Stichwort Skalierbarkeit zu nennen.

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