Einblick in die Testphase

Bei uns in der Stiftung «Zugang für alle» stehen wir mitten in den Arbeiten für die nächste Schweizer Accessibility-Studie. Aktuell läuft die Testphase. Dabei testen wir 40 Onlineshops auf ihre Zugänglichkeit. Die Publikation der Ergebnisse ist für November 2020 vorgesehen. Heute geben wir einen Einblick in die Testphase.
Computertastatur und Maus mit Notizblock auf Schreibtisch

Wir fokussieren in diesem Beitrag auf die Barrieren im Bereich der Sehbehinderungen bis Blindheit sowie auf Tastaturnutzbarkeit, die für Blinde unabdingbar ist, aber auch für alle anderen Menschen, die keine Maus bedienen können (zum Beispiel aufgrund körperlicher Behinderungen). In einem kommenden Beitrag werden wir einen Fokus auf andere Behinderungsarten legen.

Online einkaufen, das machen alle. Alle? Einige von uns begegnen dabei unüberwindbaren Hindernissen. Viele Onlineshops sind nämlich leider nicht barrierefrei.

Tastaturbedienbarkeit…

… ist eine der Voraussetzungen für eine barrierefreie Website. Häufig wird sie aber sträflich vernachlässigt. Dabei haben alle Webentwickler·innen das Testwerkzeug zur Hand bzw. vor sich auf dem Pult liegen: die eigene Tastatur.

Da gibt es zum Beispiel eine Stadt, bei der man online Parkkarten kaufen kann. Für reine Tastaturanwender·innen ist es nicht möglich, den Kaufprozess selbständig abzuschliessen: Das Kontrollkästchen, um den Bezugs-und Nutzungsbedingungen zuzustimmen, ist nämlich mit der Tastatur nicht erreichbar.

Auch bei einem der bekannten Onlinebuchhändler gibt es ähnliche Hindernisse. Mit der Tastatur ist das Eingabefeld für die E-Mail-Adresse nicht erreichbar. Gleichzeitig handelt es sich aber um ein Pflichtfeld. So wird der Kauf verunmöglicht.

Blindflug

Dass blinde User mit Vorlesesoftware arbeiten, sog. Screenreaders, ist unseren Blog-Leser·innen sicher hinlänglich bekannt. In einigen Onlineshops beginnen die Barrieren schon damit, dass die Site-Suche hinter einem unbeschrifteten Schalter verborgen ist und die Suche so nicht ohne Weiteres gestartet werden kann.

Andernorts sind alle Suchergebnisse nur als Bilder vorhanden – ohne Textalternative. Mit dem Screenreader ist es nicht möglich, ein bestimmtes Produkt zu finden, ausser indem man jedes einzelne, verlinkte Bild anklickt und sich dann die verlinkte Produktdetailseite vorlesen lässt. Die Resultateübersicht dient in diesem Fall also nicht als Übersicht, sondern höchstens als Linkliste.

Generell sind viele Rabatte in reiner Bildform vorhanden, als Text im Bild. Selbst wenn zum Bild ein Alternativtext vorhanden ist, fehlt meistens die Information über den Rabatt. Während sehende User·innen also sofort erfassen, dass es zum Beispiel mit dem Code HOERBUCH2020 auf digitale Hörbücher bis Ende Monat 50% Rabatt gibt, liest der Screenreader «Link Alle unsere digitalen Hörbücher» vor. Hätte der Alternativtext «Link Digitale Hörbücher, 50% Rabatt bis Ende Monat, Code HOERBUCH2020» gelautet, hätten alle vom Rabatt erfahren.

Den Vogel abgeschossen in Sachen Blindflug hat ein Onlineshop für Kleider. Dass es für Kleider unterschiedlichste Grössentabellen gibt, vom italienschen Standard über den britischen und amerikanischen zum europäischen, erschwert es manchmal auch Normalsehenden, die richtige Grösse zu bestellen. Wenn Grössentabellen aber nicht barrierefrei gestaltet sind, führt zu einer wilden Raterunde. Die bestellte Jeans für den blinden Kollegen war dann mindestens doppelt so gross wie gewünscht und figuriert jetzt in der Statistik der sofort zurückgeschickten Ware.

High Contrast Mode

Den High Contrast Mode nutzen Menschen mit starken Sehbehinderungen. Mit der Tastenkombination Alt + Shift + PrintScreen können alle den Modus selber ausprobieren.

In manchen Shops werden Elemente unsichtbar, die für die Bedienung oder für den Einkauf wichtig sind. Häufig sind die Bewertungen anderer User·innen nicht mehr sichtbar, manchmal fehlen die Bilder für die verfügbaren Zahlungsmöglichkeiten. Andere Male wiederum sind die Filter nicht bedienbar: Im normalen Modus können Kund·innen häufig nach gewünschter Farbe des Produkts filtern oder nach Preisspanne. Im High Contrast Mode hingegen prangen häufig zehn schwarze Kreise oder Quadrate als Farbauswahl und die Preisschieber sind schwarz auf schwarz – also nicht erkennbar.

Unser «Favorit» ist das Registrierungsformular eines Onlineshops, in welchem die Felder unsichtbar werden. Die visuell sichtbaren Labels sind zwar noch sichtbar, doch ist aufgrund des Layouts unklar, ob sich die Felder nebendran oder unterhalb verstecken. Nur mit wildem Klicken rechts, über und unter dem sichtbaren Text kann mit viel Glück ein Feld gefunden und ausgefüllt werden. Da der Kauf als Gast nicht möglich ist, sind Menschen mit starken Sehbehinderungen hier stark benachteiligt. Ohne Registrierung kein Kauf, ohne barrierefreies Formular kein·e Käufer·in.

Résumé

Manches ist zum Haare raufen. Anderes amüsant. Ingesamt zeigt sich relativ schnell, dass es Onlineshops gibt, die grundsätzlich gute Arbeit leisten und nur wenige Barrieren aufweisen. Es wird aber auch deutlich, dass vielerorts der Einkauf durch eine einzelne Hürde verunmöglicht wird, sei es ein Bild-Captcha als Barriere für blinde Nutzer·innen, eine im High Contrast Mode unsichtbare Checkbox oder ein mit der Tastatur nicht erreichbares E-Mail-Eingabefeld. Eine einzelne Hürde – und so weitreichende Folgen!

Weitere Anekdoten aus dem Leben unserer Tester·innen folgen in den nächsten Wochen.

Dank

Die Schweizerische Accessibility-Studie wird unterstützt durch das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen, die Schweizerische Post, die SBB, die Stiftung Cerebral, die Hasler-Stiftung, das Informatiksteuerungsorgan des Bundes, das Sozialdepartement der Stadt Zürich und den Gönnerverein der Stiftung Zugang für alle.

[gs_logo title="no" posts="15" order="ASC" logo_cat="accessibility-studie" logo_color="gray_to_def"]

4 Kommentare zu “Einblick in die Testphase

  1. Augen Auf beim Laptop/Tastatur-Kauf!

    Vielen Dank für den Tipp mit dem «High Contrast Mode» (‹Alt› + ‹Shift› + ‹PrintScreen›). Natürlich wollte ich ihn sofort ausprobieren. Doch auf der Tastatur meines Laptops gibt es keine eigene ‹Druck›-Taste. Dafür muss die ‹Einfg›-Taste zusammen mit einer ‹FN›-Taste gedrückt werden. Diese Taste liegt zwischen ‹Strg›- und ‹Windows›-Taste. Also müsste ich gleichzeitig links unten ‹Shift› + ‹FN› + ‹Alt› drücken und rechts oben ‹Einfg›. Das jedoch scheitert an meinen motorischen Einschränkungen.

    1. Danke, Frank, für die Rückmeldung. Es gibt einen anderen Weg, den du hoffentlich wählen kannst, je nach motorischer Einschränkung. Windows Start > «Einstellungen für hohen Kontrast für erleichterte Bedienung» anfangen zu tippen und dann anwählen. Danach braucht es dann nur den On-/Off-Schalter, um den Modus einzustellen. Ich freue mich über dein Feedback, ob das klappt.
      Screenshot: In Windows-Start folgenden Text anfangen einzutippen, Option anwählen, sobald sie erscheint: Einstellungen hoher Kontrast für erleichterte Bedienung

  2. Perfekt Manu! Ich habe sogar die Wahl zwischen:
    * schwarzer Hintergrund/gelbe Auszeichnung,
    * schwarzer Hintergrund/grüne Auszeichnung,
    * schwarzer Hintergrund/weiße Auszeichnung und
    * weißer Hintergrund/reduzierte Farben.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .