World Autism Awareness Day

Als Selbstbetroffene möchte ich den diesjährigen Welt-Autismus-Tag dazu nutzen, unserer Leserschaft die Barrieren, denen Menschen aus dem Autismus-Spektrum bei der Nutzung von Internetangeboten begegnen, etwas näher aufzuzeigen. Das Thema Barrierefreiheit von Menschen mit Autismus wird in der Accessibility-Community eher am Rande diskutiert. Dies mag daran liegen, dass sich diese Behinderungsart nicht so einfach umschreiben und eingrenzen lässt. Dieser Blogbeitrag soll helfen, die Welt von uns Betroffenen besser zu verstehen.

Autismus und Barrierefreiheit

Autismus wird häufig als «unsichtbare» Behinderung bezeichnet. Dementsprechend ist es für Aussenstehende schwierig, unsere spezifischen Problemstellungen zu erkennen. Auch das World Wide Web Consortium (kurz W3C) scheint sich mit der diesbezüglichen Problemerkennung eher schwer zu tun und man findet in ihren Richtlinien (kurz WCAG) dazu eher vage Empfehlungen. Die wichtigsten davon wurden in einem früheren Blogbeitrag von «Zugang für alle» bereits aufgelistet.

Eine Schwierigkeit scheint bei der Erkennung von Hindernissen bei Webangeboten in der Breite des Spektrums der Behinderung begründet zu sein. In der Autismus-Community wird man beispielsweise immer wieder auf folgenden Satz hingewiesen: «Wenn du einen Autisten kennst, so kennst du genau einen Autisten». Diese Vielfältigkeit des Autismus-Spektrums ist für die Arbeit im Accessibility-Bereich u.a. für einen Usability-Tester eine Herausforderung, wenn er beispielsweise eine «Persona» dazu kreieren will und er steht vor einem Dilemma. Und auch mir zeigt sich jetzt gerade dieses Dilemma: einerseits will ich Ihnen den Autismus in seiner ganzen Breite und Vielfältigkeit näherbringen und Ihnen andererseits einen konkreten Ausschnitt aus meinem Lebensalltag beschreiben. Dabei vertrete ich die Hypothese, dass eine stärkere Konturierung der Behinderung auch zu einer besseren Verständlichkeit führt.

Am besten beginne ich daher ganz von vorne. Die Idee für diesen Blogbeitrag kam mir beim Ausfüllen eines Online-Formulars, konkret bei einem Anmeldungsformular für einen Anlass. Mein erster Eindruck des Formulars ist: Es ist inkonsistent mehrspaltig, bunt und grell, und ich verstehe eigentlich gar nicht so recht, bei welchen Elementen es sich um auszufüllende Felder handelt. Beim Ausfüllen raucht mir der Kopf und ich bin froh, als ich schliesslich den Button «Abschicken» drücken kann. Leider schlägt das ganze fehl und ich werde auf eine Fehlermeldung zurückgeworfen. Die Meldung erweist sich für mich als unverständlich und ich kriege keinen Anhaltspunkt dazu, bei welchem Feld ein Fehler vorliegt. Ich suche lange und werde immer müder. Da meine Arbeitskollegen dieses Formular ebenfalls ausfüllen müssen, frage ich bei ihnen schliesslich nach, ob sie beim Abschicken des Formulars ebenfalls Probleme hatten. Die Antwort lautete: Nein.

Man würde es nicht denken, aber gerade diese Antwort half mir weiter. Die Fehlersuche liess sich dadurch für mich eingrenzen, indem ich vor diesem Hintergrund mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen konnte, dass hier meine Schwierigkeiten mit meiner eigenen Art der Wahrnehmung und der Denkweise zu tun haben mussten. Da sich das Problem im Webkontext zeigt, wage ich erfahrungsgemäss die Vermutung, dass meine Problemstellung etwas mit einer «intuitiven Bedienung» zu tun haben könnte. Mein Problem ist damit aber nicht gelöst, denn ich kenne zwar die Wortdefinition, habe aber keinen Plan, wie ich ein Formular intuitiv bedienen soll. Ich muss ja aber irgendwie weiterkommen. Ich nehme daher meine ganze Energie zusammen, um zuerst kurz Abstand von diesem ganzen Geflimmer auf dem Bildschirm zu nehmen und starte danach einen weiteren Versuch. Wie «Magie» sticht mir danach der Fehler plötzlich ins Auge: Ich habe das Feld mit der Mengenangabe (Anzahl Tickets) nicht auf «1» gesetzt!?!

Ich wage die Annahme, dass die meisten von Ihnen denken werden, dass es doch klar ist, dass ich in diesem Feld eine «1» hätte eingeben müssen. Da das Feld jedoch keine Beschriftung hatte und sich die Felder in ihrem Layout auch nicht ähnlich sahen, habe ich persönlich nicht gemerkt, dass es sich um ein Eingabefeld handelte. Und auch wenn ich bei einem nochmaligen Durchgehen der Felder das Feld als solches mit einem Eintrag darin erkannt habe, so war ich inzwischen schon zu erschöpft, um zu erkennen, dass in diesem Feld keine «0» stehen sollte. Für mich war das Feld in Ordnung, da ausgefüllt und selbsterklärend, dass ich nur mich anmelden würde.

Ich denke, hier zeigt sich bereits etwas meine andere Art des Denkens und Wahrnehmens. Für diejenigen, denen dies noch nicht genügt und die vermuten, dass dies doch jedem mal passieren kann: Ich kann Ihnen sagen, der Unterschied liegt darin, dass Menschen mit Autismus praktisch in allen Lebenslagen – und damit meine ich nicht nur im Internet – solchen und ähnlichen Problemstellungen häufig begegnen. Das kann anstrengend sein.

Das war nur ein Beispiel aus meinem Alltag und es bedeutet nicht, dass alle Menschen mit Autismus dies «so» haben müssen wie ich es geschildert habe. Die Vielfalt des Spektrums ist gross und bei Interesse gewährt dieses Youtube-Video mit einem Vortrag eines Accessibility-Spezialisten aus dem Autimus-Spektrum weitere spannende Einblicke.

Fazit

Mit der obigen Beschreibung eines Beispiels aus meinem Alltag möchte ich aufzeigen, dass Menschen im Autismus-Spektrum gleich wie Menschen mit anderen Einschränkungen auf Barrieren bei der Benützung von Internetangeboten stossen. Die Gründe für die schwierige Konkretisierung von Problemstellungen wurden erwähnt. Aufgrund dieser Schwierigkeit kann ich Ihnen leider kein Patentrezept geben, verweise Sie aber gern auf den Link w3c.github.io/wcag/coga/user-research.html. Unter Punkt 3.7 wird aufgezeigt, was Autismus sein kann, welche Symptome auftreten, wo die Herausforderungen liegen und wie Web Content optimiert wird, um Autisten möglichst gut abzuholen. Ergänzend dazu gibt es Szenarien, die schrittweise die Herausforderungen aufzeigen, mit denen Menschen mit Autismus konfrontiert sind.

Ausblick

Ein Gedankenanstoss ist mir zum Abschluss noch wichtig: Denken Sie nicht auch, dass verschiedene Wahrnehmungs- und Denkarten die Welt auch spannender und bunter machen? Man würde es Autismus-Menschen nicht geben, aber es gibt nicht wenige unter uns – zu denen auch ich mich zähle – die es interessant finden, sich in die Wahrnehmung von anderen Menschen mit oder ohne Behinderung hineinzuversetzen. Einige unter uns habe sich dies sogar zum Beruf gemacht. In diesem Sinne würde es mich freuen, wenn auch Sie ab und an einen Abstecher in die bunte Welt der Neurodiversity unternehmen …

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