Wissen, wo’s brennt: Wie blinde mit heissen Händen und piepsenden Mobiltelefonen Lichtquellen aufspüren

Die SMS, welche spät am Abend noch bei mir eintrifft, entlockt mir gleichermassen ein Seufzen und ein Lächeln: "René, bei dir brennt im Fall noch Licht." Oh, stimmt! Ich hatte vergessen, dass ich heute Gäste zu Besuch hatte, die - im Vergleich zu mir - noch etwas sehen. Logisch, dass diese bei mir jeweils auch Licht anmachen - nur, weil ich normalerweise im Dunkeln lebe, müssen das ja nicht gleich alle tun, die bei mir vorbeikommen. Und irgendwie auch logisch, dass sie das Licht zwar ein-, aber nicht wieder ausschalteten - wer will denn schon einen Gastgeber im Finstern sitzen lassen?
Leuchtende Glühbirne

Ob bei mir Licht brennt oder nicht, fällt mir seit meiner völligen Erblindung vor rund zehn Jahren schlicht nicht mehr auf. Dank den zitierten SMS-Mitteilungen meiner sehr aufmerksamen Nachbarn wurde ich schon des Öftern auf meine während Stunden unnötig erleuchtete Wohnung aufmerksam gemacht.

Okay, es brennt also Licht in meiner Wohnung… Aber wo genau?

Früher, in meinem Fall sogar noch bis vor wenigen Wochen, folgte an dieser Stelle nun ein Rundgang durch die gesamte Wohnung. Mission: «Wer nicht sehen kann, muss fühlen». Zu meiner Ausrüstung gehörten ein Küchenstuhl, ein Blindenstock und ein Handtuch. In zwei Zimmern meiner Wohnung hängen die Lichtquellen (es sind schlichte von der Decke baumelnde Glühbirnen) so hoch, dass sie nur von einem Stuhl aus erreicht werden können. Diesen platzierte ich etwa in die Mitte des Zimmers. Den Blindenstock verwendete ich, um die Decke etwas schneller nach der Glühbirne absuchen zu können. Und war die Birne dann gefunden, kam noch das Handtuch ins Spiel – wer schon einmal eine lange brennende Glühbirne mit blossen Händen berührt hat, weiss wohl, warum.

Sie wundern sich: «Geht’s noch? Muss das sein?» Und ich kann Sie beruhigen: Es ist natürlich nicht nötig, dass blinde Menschen sich immer einer solchen Kletterpartie hingeben müssen, nur um festzustellen, ob noch Licht brennt oder nicht. Schon seit langer Zeit gibt es elektronische Hilfsmittel, die genau in dieser Situation eingesetzt werden: Der LumiTest etwa, erhältlich für CHF 68.–, wandelt das in einem Raum wahr genommene Licht in in akustische Signale um: Je höher das Gerät piepst, desto heller ist es in einem Raum.

Was den akrobatischen Abenteuern in meinem Haus ein Ende setzte, war ein ähnliches Produkt, welches erst kürzlich erschienen ist. Die Firma ProTak entwickelte das «Lights» Tool, ein Softwareprodukt, welches auf bestimmten Mobiltelefonen installiert werden kann. Das Programm, erhältlich zum Preis von EUR 25.–, verwendet die Kamera des Mobiltelefons, um das Licht im Raum zu messen. Und auch hier erfährt man mittels mehr oder weniger schriller Töne, wie hell es im Raum gerade ist. eine clevere Lösung, welche bereits vorhandene Hardware nutzt, um mir die Information zu liefern, die mir wegen meiner Behinderung fehlte.

Später an diesem Abend erhalte ich noch eine zweite SMS. Dem Absender scheint die Problematik bekannt zu sein. Da steht: «Wenn Edison nicht gewesen wäre, würden wir heute bei Kerzenlicht fernsehen müssen»…
Ich lege mein Handy zur Seite, drehe mich um und denke an die Stromkosten, die ich dank der EUR 25.– nun einspare. Dann schlafe ich ein – im Dunkeln, fast so, als könnte ich sehen…

2 Kommentare zu “Wissen, wo’s brennt: Wie blinde mit heissen Händen und piepsenden Mobiltelefonen Lichtquellen aufspüren

  1. Es ist natürlich clever eine Software für eine bereits vorhandene Hardware zu schreiben, denn so muss nicht für jeden Zweck eine entsprechende Hardware mit herumgeschleppt werden. Zudem kann es auch dann jeder testen – nicht nur Blinde…

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